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Nachrichten aus unserer Praxis

Zur Ãœbersicht | 07/08/2019

Von Frauen, Männern und: Betablockern (Metoprolol, Bisoprolol u.a.)

Es ereignet sich mindestens einmal im Monat:

Eine recht fit wirkende Dame, seltener ein solcher Herr, spricht mit mir und im Verlauf stellt sich heraus, was ich ein leider bekanntes Muster nennen möchte. Eigentlich ginge es ihr gut, aber seit dem Herzinfarkt/Schlaganfall/Stent etc. vor Jahren will sie nicht mehr richtig in die Gänge kommen. Sie sei müde, antriebslos, teils dadurch deprimiert. Klar, es sei ein einschneidendes Ereignis gewesen, ja teils traumatisch, daran liege das bestimmt. Aber sie sei früher so fit gewesen, das könne doch gar nicht sein. Was denn noch schuld daran sein kann.

Nach vielen der dann nötigen gründlichen Gespräche, Untersuchungen, Checks mit Ultraschall, Ekg und Blutentnahmen finden sich Mangelerscheinungen wie Vitamin-D-Mangel, Eisen-, Zinkmangel und manch andere Probleme, die sicher beitragen zur Müdigkeit und auch behandelt werden. Auch seelische Faktoren spielen hier immer eine Rolle. Bei manchen der Betroffenen jedoch hilft alles nicht durchgreifend.

Frägt und forscht man noch genauer, engt sich die Reihe der Verdächtigen immer weiter ein. Anfangs haben mich oft meine Patienten selbst auf das Thema gebracht, indem sie sich genau beobachtet haben. Diese Selbstwahrnehmung, das Gefühl für den eigenen Körper des Patienten, wird von vielen Ärzten nicht genügend genutzt und oft nicht ernst genug genommen.

Jedesmal, wenn sie die Medikamente am Morgen nehme, komme es ihr so vor, als würde jemand ihr den Stecker ziehen, den Boden unter den Füßen wegziehen etc. So oder so ähnlich lauten die Aussagen der Patientinnen.

Meist bleibt ein Verdächtiger übrig: Metoprolol, Bisoprolol und Co, also Betablocker.

In meiner Klinikzeit ab 1989 war es absolut üblich und Pflicht jedes Assistenzarztes, schwer kranken Patienten, insbesondere Herzkranken, hohe Dosen Betablocker zu verabreichen. Die sollten das Risiko erheblich verringern und stellten, "nebenbei" die Patienten ruhig, nahmen Angst und Unruhe, senkten den Puls usw. Im belastenden Klinikalltag sicher verständlich und teils nützlich. Gewundert hat mich immer, dass nicht gesehen wurde, wie es einem Teil der Patienten damit richtig schlecht ging. Gewundert habe ich dann zunehmend auch über mich selbst, dass ich so viele Jahre einfach mitgemacht habe. Es war ja Pflicht, alle taten das, also musste ich es auch... Erst seit etwa 10Jahren "traue" ich mich jetzt, daran etwas zu ändern.

Seit 2019 sind Betablocker offiziell in die zweite Reihe bei der Behandlung von Bluthochdruck (Hypertonie) und in der Sekundärprävention nach Herzinfarkt und Gefäßerkrankungen gerutscht, weil der Nutzen doch nicht so hoch ist wie gedacht.

In meinen 25 Praxisjahren sah ich viele Patienten, denen es nach einer Reduktion der Betablockerdosis deutlich besser ging, manchmal mussten wir das Medikament wegen heftiger Nebenwirkungen völlig absetzen. Die "Depressionen" gingen weg, schwere Müdigkeit, Schwindel, gravierende Kreislaufprobleme, Übergewicht, schlechte Zuckerwerte bis hin zu Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus Typ II), extreme Antriebsschwäche, Verstopfung, Frieren, sexuelle Ebbe und Potenzprobleme, Hautprobleme und vieles andere wurden besser oder verschwanden. Bei vielen sind weiterhin kleine Dosen nötig, meist aber ist eine Reduktion erfolgreich. Auch Halluzinationen und Alpträume können von Betablockern induziert werden und verschwinden bei Reduktion weniger.

Wir brauchen Betablocker bei Herzschwäche (Herzinsuffizienz) und hier verlängern sie auch sicher das Leben. Auch bei anderen Erkrankungen wie höhergradigem Bluthochdruck, der anders nicht zu senken ist, bei anfallsweisem Herzrasen, dauerhaft erhöhtem Puls (Tachykardie) und weiteren Störungen können sie absolut notwendig sein und dennoch müssen Einsatz und Dosis immer kritisch geprüft werden.

Insbesondere Frauen scheinen genetisch bedingt empfindlicher zu sein und deutlich weniger hohe Dosen als Männer zu vertragen. Auch hier rächt sich wieder, dass pharmazeutische und klinische Forschung meist an jungen und gesunden (männlichen) Probanden durchgeführt wurde und wird. Die höhere Empfindlichkeit der Frauen wurde und wird nicht ausreichend wahrgenommen. Nach wie vor wird stillschweigend im Praxisalltag, vielleicht unbewusst, auch gebilligt, dass man es nun mit "ruhigeren", "zufriedeneren" Patientinnen zu tun hat, weniger fordernd, aktiv und anstrengend. Der Preis dafür ist meiner Ansicht nach viel zu hoch.

Ein weiteres Indiz für die hohe Sensibilität auf Betablocker besonders des weiblichen Körpers ist das Takotsubo-Syndrom (TTS, s. Der Allgemeinarzt 5/2019, Prof. Marcus Fischer, Herzzentrum Regensburg: "Herz im Stress - So entsteht die kardiale Tintenfischfalle), eine erst spät entdeckte Herzerkrankung - vorwiegend der Frau. Es handelt sich um eine akut auftretende Sonderform der Herzschwäche, die hinter 5-10% der Fälle von vermeintlichem "Herzinfarkt" bei Frauen steckt und genauso schwerwiegend und komplikationsreich wie ein Infarkt ist. Betroffen sind besonders Frauen über 60 mit Östrogen-Mangel, die oft zusätzlich Stress/Traumata erlitten wie Trennung, Krankheit des Partners, eigene schwere Krankheiten, Schlaganfälle, Hirnblutungen oder große Operationen. Auch nach Extremsport kommt die Störung bei Jüngeren vor. Man könnte hier von "gebrochenem Herzen" sprechen. Das Herz wird durch Stresshormone überflutet, das schützende Östradiol fehlt, wenn keine Hormonersatztherapie durchgeführt wird. Häufig besteht bereits eine diastolische Dysfunktion, der Herzmuskel kann sich in der kurzen Ruhephase zwischen den Schlägen also sowieso schon schlechter entspannen. Grund häufig: längere bestehender Bluthochdruck und genetische Faktoren (Besonderheiten der ß1- und ß2-Adrenorezeptoren, der G-Protein-gekoppelten Rezeptor-Kinase-5, der Catechol-O-Methyltransferase (COMT) und des α-Östrogenrezeptors. Sinnvoll dabei sind Stress-/Reizabschirmung, ACE-Hemmer wie Ramipril, Blutverdünner als Schutz vor Thromben im Herz, Psychotherapie, besonders als Schutz vor Rückfällen. Zudem reine α-1-Blocker. Naturheilkundlich Kava-Kava-Präparate, Lavendel-Extrakt, z.B. Lasea, Baldrian-Hopfen-Kombinationen, z.B. Ardeysedon, Passionsblumen-Extrakte, z.B. PassioBalance, Yoga, AT, PMR, Massage. Vorsichtige Östrogen-Gabe als Gel oder Pflaster unter Schutz mit oralem Progesteron kann erwogen werden. Wesentlich ist, dass Betablocker hier mit größter Vorsicht in niedrigsten Dosen helfen können. Sobald sie aber höher dosiert werden, kann der Kreislauf akut zusammenbrechen. Das Frauenherz ist auch in dieser Situation sehr empfindlich auf die Betablocker. Da Frauen häufig unter hoher emotionaler Belastung stehen, liegt nahe, dass die ausgeprägte Betablocker-Empfindlichkeit mit hohen Stresshormonleveln auch im Alltag zusammenhängen, ähnlich wie beim Extrembeispiel TTS. Es könnte auch der in diesem Alter häufige Vitamin-D-Mangel eine Rolle spielen, da Kalziummangel bei Stress häufig ist und Kalzium durch Vitamin-D-Mangel abfallen kann, was die Herzmuskelzelle erregbarer macht. Hinweis dafür ist, dass Kalziumsensitizer wie Levosimendan bei einigen Patienten zu einer raschen Verbesserung der Symptome und Erhohlung der systolischen Herzkammerfunktion führte.

Naturheilkundlich gibt es eine Menge guter präventiver und therapeutischer Maßnahmen, die man bei Bluthochdruck und zur Prävention von Herz-Kreislauferkrankungen einsetzen kann: Gewichtsnormalisierung, Sport und Bewegung, vollwertige Ernährung, Fleisch aus Demeter- und Bioland-Anbau, Knoblauch, Leinsamen und andere Quellen für Ω-3-Fettsäuren, Grana-Padano-Käse, Hibiscus-Tee drei Tassen pro Tag (enthält Anthocyane, Flavone und Phenolsäure, wirkt antioxidativ), Cayennepfefferschoten, Mediterrane, nitratreiche Kost (zusammen mit Vitamin C verabreichen), Nüsse, Sauna und vieles andere mehr. Sinnvoll sind häufig, besonders bei Mängeln, Magnesium, Kalium, Weißdornpräparate. Lassen Sie sich von Ihrem Arzt beraten.

Dennoch:
Schmeißen Sie den Betablocker nicht gleich in die Tonne, das könnte fatal sein. Und, sicher: Betablocker können, insbesondere kurzfristig (Prüfungsangst, Lampenfieber, anfallsweises Herzrasen u.a.), segensreich sein.

Ich habe sehr viele Frauen, weniger Männer, unter Reduktion der Betablocker bis hin zu (nach Meinung vieler Ärzte) "homöopathischen" Dosen gesehen, denen es daraufhin wesentlich besser ging, die ihre alte Verfassung wieder erlangen konnten.

Also Patientinnen und Patienten, Kolleginnen und Kollegen: Wenn Sie typische Probleme unter Betablockern haben: Einen vorsichtigen Versuch der Dosisreduktion unter ärztlicher Begleitung und Messung von Puls und Blutdruck ist es wert, es könnte die Lebensqualität erheblich verbessern.

Viel Erfolg dabei!

Herzliche Grüße

Ihr

nachdenklicher

Berthold Musselmann

 

Dr.med.Berthold Musselmann,  
Praxis Hauptstr.120, 69168 Wiesloch
Arzt für Allgemeinmedizin-

Umweltmedizin-Naturheilverfahren-
-Chirotherapie-
Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren
Akademische Lehrpraxis Universität Heidelberg
Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung

Family Practice
Department of Family Medicine and Health Services Research
Tel. +49 (0)6222 81236 Fax 8095         
www.dr-musselmann.de
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