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Zur Ãœbersicht | 25/04/2016

Stress - alle Welt hat ihn (gern?)

Berthold Musselmann, Heidelberg

Stressexposition und

die Gefahren für die Gesundheit

 

Pressekonferenz Komitée Forschung Naturheilkunde, München, April 2016

 

Es herrscht viel Verwirrung um „Stress“ (ähnlich der Verwirrung um „Burnout“), da

 

  1. Nicht klar getrennt wird, ob damit die einen Menschen belastenden Faktoren (Stressoren) oder seine Reaktion gemeint sind. Häufig ist „Stress“ auch Ausdruck einer Grunderkrankung, die mit durch anhaltende Überlastung entstanden sein kann. Dann muss jedoch beides behandelt bzw. geändert werden.
  2. Nicht klargestellt wird, dass man „Stressfaktoren“ nicht generalisieren kann: Es ist teilweise höchst individuell, was als „Stress“ empfunden wird. Zudem würde ein Körper ohne jeden „Stress“ sehr schnell in seinen Funktionen erlahmen. Daher kommt die frühere Trennung in „Dys-„ und „Eustress“. Bedeutend ist die subjektive Bewertung des Ereignisses, das in uns Erregung auslöst. Krank macht das Gefühl, die Anforderungen nicht mehr bewältigen zu können, unterfordert oder ausgeliefert zu sein. Die kognitive Bewertung zählt also.
    Krank machen auch objektive Belastungen, die physiologische Grenzen auf Dauer überschreiten, z.B. auch schwere körperliche und seelische Verletzungen.
  3. Nicht offen darüber geredet wird, dass wir damit häufig Zustände und Lebensbedingungen meinen, die wir zwar lästig finden, auf die wir insgeheim aber teils stolz sind (wir sind hochbeschäftigt, fleißig, wichtig) und die wir teilweise selbst herbeiführen bzw. beibehalten: Durch die Wahl bestimmter Berufe, Nutzung moderner sozialer Medien, den sorglosen Umgang mit Gesundheit, Hygiene oder Gesundheitsschutz, durch Dauererreichbarkeit. Teilweise sind diese Faktoren aber nicht einfach zu ändern. Viel zu tun zu haben und in Eile zu sein ist belastend, aber (noch) kein krankmachender Stress.
    Primär wären Unternehmen und Politik in der Pflicht, der Überlastung einer hohen Zahl von Berufstätigen entgegenzuwirken, die unter den Zumutungen überbordender Flexibilität, Arbeitsverdichtung und Gewinnmaximierung gesundheitlich leiden. 

Der Begriff "Stress" wurde von Hans SELYE, dem „Vater der Stressforschung", 1936 erstmals in die Medizin eingeführt. Im ursprünglichen Sinn (engl.) bedeutet er "Dehnung, Beanspruchung". In der Physik wird der Begriff seit langem zur Beschreibung der Elastizität von festen Körpern gebraucht. SELYE definierte Stress als die Summe aller auf uns einwirkenden Belastungszustände und ihrer (energieaufwändigen) Bewältigungsprozesse.

Die Bedeutung der individuellen kognitiven Verarbeitung wurde von ihm jedoch vernachlässigt und muss mit berücksichtigt werden.

Nach McGarth (1976) führt bei einem Individuum ein Ungleichgewicht zwischen Anforderungen und Bewältigungsmöglichkeiten zu Stress, wenn das Scheitern bedeutsame Konsequenzen hätte.

Nach Lazarus& Folkman (1984) ist dabei die individuelle Bewertung der Belastung entscheidend. Bedrohlich wird es, und zwar individuell sehr unterschiedlich schnell, wenn eine Belastung gefühlt unsere Ressourcen überlastet und unser Wohlbefinden gefährdet.

Stress wird heute als ein Muster spezifischer und unspezifischer, psychischer und physischer Reaktionen eines Organismus auf Ereignisse, sog. (Dis) – Stressoren, definiert, die als Schädigung, Bedrohung oder Herausforderung bewertet werden und seine Fähigkeiten zur Bewältigung strapazieren oder übersteigen und zu einer Kombination aus körperlichen, verhaltensbezogenen, emotionalen und kognitiven Veränderungen führen. Stressoren können sein: Infektionen, Intoxikationen, Extremtemperaturen, Traumata und Schockeinwirkungen, negative Affekte wie Ärger, Kummer, Kränkungen oder chronische Überbelastungen. Ein guter Teil der Stressoren ist also durch seelische Faktoren bestimmt, die auslösenden Faktoren können in uns selbst verankert sein (zu hoher Ehrgeiz, extremer Machtwille, übersteigertes Streben nach Profit). Ein anderer Teil wirkt hingegen von außen auf uns ein: destruktive Arbeitsbedingungen, Erkrankungen, existenzielle Bedrohungen, etwa bei Flüchtlingen, bei Arbeitslosen (modifiziert nach http://www.zsb.at/arbeitsbereich/stress).

Stress wird empfunden, wenn unsere Grundbedürfnisse wie Autonomie, Kontakt, Integrität, Nahrung, spirituelle Verbundenheit, Feiern, Spielen nicht ausreichend erfüllt werden (nach B.A.Hörold, FA für Allgemeinmedizin).
Die Erkenntnisse der Salutogenese- (Erhalt der Gesundheit durch: Sinn im Leben, Erklärbarkeit der Welt, bewältigbare Anforderungen) und der Resilienzforschung (innere Stärke und Widerstandskraft als Schlüssel) sind hierbei grundlegend.

Gesundheitliche Auswirkungen von Stress

Aufgrund der geschilderten Dynamiken von Stress, dieses Gefühls oder dieser Realität der Dauerüberlastung, gibt es nahezu kein gesundheitliches Risiko, das nicht dadurch fördert werden kann. Er ist bei sehr vielen Krankheiten ein Faktor mit allerdings je nach Persönlichkeit und Körpersektor unterschiedlichem Gewicht.

Menschen reagieren unterschiedlich, teils chronisch aggressiv, teils chronisch depressiv auf Dauerstress. Daraus kann sich ein „Burnout“ entwickeln, bei dem es sich um keine Krankheit, sondern um einen Zustand der totalen Erschöpfung, ICD Z73.0, handelt und der Symptom anderer Krankheiten sein kann. Er ist ein Risikozustand für die Entwicklung einer großen Palette von Störungen.

Dauerüberlastung führt uns in Teufelskreise, die stressvermehrendes Verhalten fördern: Rauchen, Alkoholabhängigkeit, andere Süchte, Bewegungsmangel, Fehlernährung, Übergewicht und Schlafmangel.

Die Folgen von Stress sind weithin bekannt: Ein drastischer Anstieg der Rate von Zivilisationskrankheiten und aller wichtigen Todesursachen wie Diabetes mellitus, Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs. Kardiovaskuläre Erkrankungen allein verursachen statistisch fast die Hälfte aller Todesfälle in Europa (48%). Diese hohe Zahl ist aber auch auf die unzureichende Qualität der ärztlichen Untersuchung Verstorbener zurückzuführen.

Auch psychische/psychosomatische und körperliche Krankheiten wie Depressionen, kognitive Störungen, PTBS/PTSD (Posttraumatische Belastungsstörung), orthopädische Krankheiten, Leberzirrhose, chronische Lungenerkrankungen, Asthma bronchiale, Kolitis, Infektionen treten wie auch Selbstmorde und Unfälle durch Stress deutlich häufiger auf.

Bei Krankschreibungen sind heute psychische Störungen mit 14,7% nach Krankheiten des Muskel-/Skelettsystems (25,2%) zweithäufigste Diagnosegruppe, Sonstige 60,1% (Arbeitsunfähigkeitstage, BKK 2014). In der 70ern waren nur 2% durch psychische Diagnosen bedingt. Psychische Erkrankungen halten im Durchschnitt fast dreimal so lange an (40 Tage) wie andere. Die Zahl der Frühberentungen aufgrund psychischer Krankheiten stieg von 15,4% (1993) in 2013 auf 42,7%  an. Häufig waren seelische Probleme schon immer, heute kann man sie leichter thematisieren, die Diagnosen werden eher gestellt. Die bereinigte „echte“ Zunahme der Prävalenz ist also schwierig zu benennen.

Effekte von chronischem/sozialem Stress auf das autonome Nervensystem, sind die Steigerung des sympathischen Tonus, der 1.Stressachse, und die Aktivierung der 2. Stressachse = HPA-Achse (hypothalamic-pituitary-adrenal axis), die immunologische und metabolische Effekte zur Folge hat. Der Hypothalamus bildet das Corticotrope Releasing Hormon (CRH), CRH wirkt auf die Hypophyse, die Hypophyse bildet das Adrenocorticotrope Hormon (ACTH), ACTH wirkt auf Nebennierenrinde und diese bildet letztendlich Cortisol. Cortisol ist das am häufigsten genutzte physiologische Maß für Stress. Es erhöht Blutdruck und  Blutzucker, schwächt den Knochen und das Immunsystem. Allgemein wird die Ausschüttung von Hormonen und Neurotransmittern zur Aktivierung und Mobilisierung gesteigert. Cholesterol und BMI steigen. Noradrenalin- und Adrenalinspiegel steigen, was den Ruhepuls und den  Blutdruck erhöht und die Durchblutung im Darm und in der Peripherie vermindert.  Die Schwankungen des Cortisolspiegels und der Herzfrequenz, der HDL-Spiegel und die natürliche Erholung nach Stress sind herabgesetzt. Die Homöostase (inneres Gleichgewicht) ist gestört.

Stress bewältigen

Eine wichtige Frage ist, welche Schutzfaktoren dazu beitragen, trotz Stress und Risikofaktoren keine Störung zu entwickeln. Das analysiert die Resilienz-/Salutogeneseforschung.
Am besten ist es, das Problem an der Wurzel zu packen:
Lebe so gut es geht angepasst an Dein Erbe. Jahrmillionen lebten wir
in verschiedenen klimatischen Verhältnissen, ernährten uns unterschiedlich und bewegten uns im Durchschnitt pro Tag 5-40km gehend/laufend, was zu genetischen Anpassungen führte. Wir sollten daher versuchen, unser Leben nach unseren Genen auszurichten, z.B. durch Bewegung im Alltag, auf dem Weg zur Arbeit etc. Viele schädliche Auswirkungen von chronischer Überforderung kommen von fehlender Bewegung und damit einerseits überaktiver Muskulatur (hoher Daueranspannungsgrad), aber auch unterforderter Muskulatur, die eigentlich durch den chronischen Stress gut mit Energie versorgt und bereit zur Arbeit wäre und durch ihr Arbeiten den Stress auch „abbauen“ könnte.
Erwiesen ist die nach Bewegung wieder verbesserte Zuckeraufnahme in alle Körperzellen, besonders auch die des Hirns und eine angenehme vegetative Entspannung mit Reduktion aller Stresshormone.
Die gegenwärtige Lebensform moderner Kulturen richtet sich oft wenig nach diesem Erbe und verschafft uns damit viele Probleme und chronische Krankheiten.
Manche Symptome und Krankheiten sind Hinweise auf früher sinnvolle Lösungsversuche des Körpers bei Störungen, die aber unter dem aktuellen Überfluss und bei unserer überwiegend urbanen Lebensweise wenig benötigt werden und dann teilweise mehr schaden als nützen. Sie sind Ausdruck einer Passungsstörung in der Beziehung Organismus – Umwelt. Kunst drückt diese Störung häufig kreativ aus und deutet manchmal Lösungen an.
Abschaffen können wir unser Erbe nicht einfach im Handumdrehen, wir müssen mehr danach leben und die Kontrolle über unser Leben wieder übernehmen. Kontrollverlust ist ein wesentlicher Stressfaktor.
Ordnungstherapie, ein Begriff aus der Naturheilkunde, kann einen wertvollen Beitrag zur Erkenntnis der Wurzeln von Gesundheit liefern:
http://www.phytodoc.de/erkrankungen/anti-aging/weitere-therapien

Zusammenfassung

Der Begriff Stress muss klarer definiert werden, um ihn zu verstehen.

Durch Stress und die mittelbaren Folgen des durch ihn geförderten ungesunden Lebensstils können nahezu alle Krankheiten leichter entstehen.
Strategien gegen Schäden durch Stress sind:

Die Kultur wieder an unser Erbe anpassen. Ergebnisse der Salutogenese- und Resilienzforschung würdigen, eigenen Stärken und Ressourcen kennen und nutzen. Ordnungstherapie kennen und anwenden. Kontrollverlust, Übermaß an Stress und Unterforderung vermeiden. Nicht immer 100% geben, um Reserven zu haben. Positiv denken, nicht nur um Probleme kreisen. Stress abbauen und bewältigen, Freunde um Rat und Hilfe bitten, Geist und Humor kultivieren.

Erholung, teils passiv - die Seele baumeln lassen, teils aktiv.
Autonomie und Mitbestimmung in einer drohenden Transparenzgesellschaft bewahren. Soziale Gerechtigkeit wiederherstellen.

Die Naturheilkunde kann insgesamt und mit dem Konzept der Ordnungstherapie, mit der Phytotherapie, der Diätetik, der Bewegungstherapie und anderen Elementen wertvolle Beiträge zur Prävention und Bewältigung von Stress liefern.

Das hat bisher nur teilweise zur Integration dieser Ansätze in die konventionelle Medizin in Kliniken und Praxen geführt.

Dr. med. Berthold Musselmann
Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren
Akademische Lehrpraxis Universität Heidelberg

Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung
Tel.: 06222/ 81236

E-Mail: dr.musselmann@t-online.de

Quellen: www.phytodoc.de, www.netdoctor.de, www.wikipedia.com, Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) zum Thema Burnout, 2012, Broschüre der TK, 12/15: Wie Sie Stressoren erkennen und Belastungen besser bewältigen können, www.zsb.at/arbeitsbereich/stress, http://www.psychomeda.de/lexikon/stress.html.

 

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