Zur Übersicht | 25/04/2016
Berthold Musselmann, Heidelberg
Stressexposition und
die Gefahren für die Gesundheit
Pressekonferenz Komitée Forschung Naturheilkunde, München, April 2016
Es herrscht viel Verwirrung um „Stress“ (ähnlich der Verwirrung um „Burnout“), da
Der Begriff "Stress" wurde von Hans SELYE, dem „Vater der Stressforschung", 1936 erstmals in die Medizin eingeführt. Im ursprünglichen Sinn (engl.) bedeutet er "Dehnung, Beanspruchung". In der Physik wird der Begriff seit langem zur Beschreibung der Elastizität von festen Körpern gebraucht. SELYE definierte Stress als die Summe aller auf uns einwirkenden Belastungszustände und ihrer (energieaufwändigen) Bewältigungsprozesse.
Die Bedeutung der individuellen kognitiven Verarbeitung wurde von ihm jedoch vernachlässigt und muss mit berücksichtigt werden.
Nach McGarth (1976) führt bei einem Individuum ein Ungleichgewicht zwischen Anforderungen und Bewältigungsmöglichkeiten zu Stress, wenn das Scheitern bedeutsame Konsequenzen hätte.
Nach Lazarus& Folkman (1984) ist dabei die individuelle Bewertung der Belastung entscheidend. Bedrohlich wird es, und zwar individuell sehr unterschiedlich schnell, wenn eine Belastung gefühlt unsere Ressourcen überlastet und unser Wohlbefinden gefährdet.
Stress wird heute als ein Muster spezifischer und unspezifischer, psychischer und physischer Reaktionen eines Organismus auf Ereignisse, sog. (Dis) – Stressoren, definiert, die als Schädigung, Bedrohung oder Herausforderung bewertet werden und seine Fähigkeiten zur Bewältigung strapazieren oder übersteigen und zu einer Kombination aus körperlichen, verhaltensbezogenen, emotionalen und kognitiven Veränderungen führen. Stressoren können sein: Infektionen, Intoxikationen, Extremtemperaturen, Traumata und Schockeinwirkungen, negative Affekte wie Ärger, Kummer, Kränkungen oder chronische Überbelastungen. Ein guter Teil der Stressoren ist also durch seelische Faktoren bestimmt, die auslösenden Faktoren können in uns selbst verankert sein (zu hoher Ehrgeiz, extremer Machtwille, übersteigertes Streben nach Profit). Ein anderer Teil wirkt hingegen von außen auf uns ein: destruktive Arbeitsbedingungen, Erkrankungen, existenzielle Bedrohungen, etwa bei Flüchtlingen, bei Arbeitslosen (modifiziert nach http://www.zsb.at/arbeitsbereich/stress).
Stress wird empfunden, wenn unsere Grundbedürfnisse wie Autonomie, Kontakt, Integrität, Nahrung, spirituelle Verbundenheit, Feiern, Spielen nicht ausreichend erfüllt werden (nach B.A.Hörold, FA für Allgemeinmedizin).
Die Erkenntnisse der Salutogenese- (Erhalt der Gesundheit durch: Sinn im Leben, Erklärbarkeit der Welt, bewältigbare Anforderungen) und der Resilienzforschung (innere Stärke und Widerstandskraft als Schlüssel) sind hierbei grundlegend.
Gesundheitliche Auswirkungen von Stress
Aufgrund der geschilderten Dynamiken von Stress, dieses Gefühls oder dieser Realität der Dauerüberlastung, gibt es nahezu kein gesundheitliches Risiko, das nicht dadurch fördert werden kann. Er ist bei sehr vielen Krankheiten ein Faktor mit allerdings je nach Persönlichkeit und Körpersektor unterschiedlichem Gewicht.
Menschen reagieren unterschiedlich, teils chronisch aggressiv, teils chronisch depressiv auf Dauerstress. Daraus kann sich ein „Burnout“ entwickeln, bei dem es sich um keine Krankheit, sondern um einen Zustand der totalen Erschöpfung, ICD Z73.0, handelt und der Symptom anderer Krankheiten sein kann. Er ist ein Risikozustand für die Entwicklung einer großen Palette von Störungen.
Dauerüberlastung führt uns in Teufelskreise, die stressvermehrendes Verhalten fördern: Rauchen, Alkoholabhängigkeit, andere Süchte, Bewegungsmangel, Fehlernährung, Übergewicht und Schlafmangel.
Die Folgen von Stress sind weithin bekannt: Ein drastischer Anstieg der Rate von Zivilisationskrankheiten und aller wichtigen Todesursachen wie Diabetes mellitus, Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs. Kardiovaskuläre Erkrankungen allein verursachen statistisch fast die Hälfte aller Todesfälle in Europa (48%). Diese hohe Zahl ist aber auch auf die unzureichende Qualität der ärztlichen Untersuchung Verstorbener zurückzuführen.
Auch psychische/psychosomatische und körperliche Krankheiten wie Depressionen, kognitive Störungen, PTBS/PTSD (Posttraumatische Belastungsstörung), orthopädische Krankheiten, Leberzirrhose, chronische Lungenerkrankungen, Asthma bronchiale, Kolitis, Infektionen treten wie auch Selbstmorde und Unfälle durch Stress deutlich häufiger auf.
Bei Krankschreibungen sind heute psychische Störungen mit 14,7% nach Krankheiten des Muskel-/Skelettsystems (25,2%) zweithäufigste Diagnosegruppe, Sonstige 60,1% (Arbeitsunfähigkeitstage, BKK 2014). In der 70ern waren nur 2% durch psychische Diagnosen bedingt. Psychische Erkrankungen halten im Durchschnitt fast dreimal so lange an (40 Tage) wie andere. Die Zahl der Frühberentungen aufgrund psychischer Krankheiten stieg von 15,4% (1993) in 2013 auf 42,7% an. Häufig waren seelische Probleme schon immer, heute kann man sie leichter thematisieren, die Diagnosen werden eher gestellt. Die bereinigte „echte“ Zunahme der Prävalenz ist also schwierig zu benennen.
Effekte von chronischem/sozialem Stress auf das autonome Nervensystem, sind die Steigerung des sympathischen Tonus, der 1.Stressachse, und die Aktivierung der 2. Stressachse = HPA-Achse (hypothalamic-pituitary-adrenal axis), die immunologische und metabolische Effekte zur Folge hat. Der Hypothalamus bildet das Corticotrope Releasing Hormon (CRH), CRH wirkt auf die Hypophyse, die Hypophyse bildet das Adrenocorticotrope Hormon (ACTH), ACTH wirkt auf Nebennierenrinde und diese bildet letztendlich Cortisol. Cortisol ist das am häufigsten genutzte physiologische Maß für Stress. Es erhöht Blutdruck und Blutzucker, schwächt den Knochen und das Immunsystem. Allgemein wird die Ausschüttung von Hormonen und Neurotransmittern zur Aktivierung und Mobilisierung gesteigert. Cholesterol und BMI steigen. Noradrenalin- und Adrenalinspiegel steigen, was den Ruhepuls und den Blutdruck erhöht und die Durchblutung im Darm und in der Peripherie vermindert. Die Schwankungen des Cortisolspiegels und der Herzfrequenz, der HDL-Spiegel und die natürliche Erholung nach Stress sind herabgesetzt. Die Homöostase (inneres Gleichgewicht) ist gestört.
Stress bewältigen
Eine wichtige Frage ist, welche Schutzfaktoren dazu beitragen, trotz Stress und Risikofaktoren keine Störung zu entwickeln. Das analysiert die Resilienz-/Salutogeneseforschung.
Am besten ist es, das Problem an der Wurzel zu packen:
Lebe so gut es geht angepasst an Dein Erbe. Jahrmillionen lebten wir
in verschiedenen klimatischen Verhältnissen, ernährten uns unterschiedlich und bewegten uns im Durchschnitt pro Tag 5-40km gehend/laufend, was zu genetischen Anpassungen führte. Wir sollten daher versuchen, unser Leben nach unseren Genen auszurichten, z.B. durch Bewegung im Alltag, auf dem Weg zur Arbeit etc. Viele schädliche Auswirkungen von chronischer Überforderung kommen von fehlender Bewegung und damit einerseits überaktiver Muskulatur (hoher Daueranspannungsgrad), aber auch unterforderter Muskulatur, die eigentlich durch den chronischen Stress gut mit Energie versorgt und bereit zur Arbeit wäre und durch ihr Arbeiten den Stress auch „abbauen“ könnte.
Erwiesen ist die nach Bewegung wieder verbesserte Zuckeraufnahme in alle Körperzellen, besonders auch die des Hirns und eine angenehme vegetative Entspannung mit Reduktion aller Stresshormone.
Die gegenwärtige Lebensform moderner Kulturen richtet sich oft wenig nach diesem Erbe und verschafft uns damit viele Probleme und chronische Krankheiten.
Manche Symptome und Krankheiten sind Hinweise auf früher sinnvolle Lösungsversuche des Körpers bei Störungen, die aber unter dem aktuellen Überfluss und bei unserer überwiegend urbanen Lebensweise wenig benötigt werden und dann teilweise mehr schaden als nützen. Sie sind Ausdruck einer Passungsstörung in der Beziehung Organismus – Umwelt. Kunst drückt diese Störung häufig kreativ aus und deutet manchmal Lösungen an.
Abschaffen können wir unser Erbe nicht einfach im Handumdrehen, wir müssen mehr danach leben und die Kontrolle über unser Leben wieder übernehmen. Kontrollverlust ist ein wesentlicher Stressfaktor.
Ordnungstherapie, ein Begriff aus der Naturheilkunde, kann einen wertvollen Beitrag zur Erkenntnis der Wurzeln von Gesundheit liefern:
http://www.phytodoc.de/erkrankungen/anti-aging/weitere-therapien
Zusammenfassung
Der Begriff Stress muss klarer definiert werden, um ihn zu verstehen.
Durch Stress und die mittelbaren Folgen des durch ihn geförderten ungesunden Lebensstils können nahezu alle Krankheiten leichter entstehen.Erholung, teils passiv - die Seele baumeln lassen, teils aktiv.
Autonomie und Mitbestimmung in einer drohenden Transparenzgesellschaft bewahren. Soziale Gerechtigkeit wiederherstellen.
Das hat bisher nur teilweise zur Integration dieser Ansätze in die konventionelle Medizin in Kliniken und Praxen geführt.
Dr. med. Berthold Musselmann
Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren
Akademische Lehrpraxis Universität Heidelberg
Quellen: www.phytodoc.de, www.netdoctor.de, www.wikipedia.com, Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) zum Thema Burnout, 2012, Broschüre der TK, 12/15: Wie Sie Stressoren erkennen und Belastungen besser bewältigen können, www.zsb.at/arbeitsbereich/stress, http://www.psychomeda.de/lexikon/stress.html.
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